Solltest du basslastige Signale verhallen?

Mai 3, 2023 | Know-how

Lasst uns diese Frage, die Philosophen seit Jahrhunderten nicht ruhig schlafen lässt, mit einem Blick auf die moderne Musikproduktion ein für alle Mal klären.

Musikproduzenten können manchmal etwas abergläubisch sein. Die Welt des Recording, Mixing und Mastering hat einen Hang dazu, an Mythen und Legenden festzuhalten ohne sie im Lichte neuer Technologien und Möglichkeiten in Frage zu stellen. Einer dieser Mythen lautet “vergiss nie auf deinen Hochpass”.

In einer Zeit, in der Musik noch mit analoger Technologie aufgenommen und dann auf Vinyl gepresset wurde, hatte dieser Ratschlag durchaus seine Berechtigung. Dank eines Hochpass-Filters konnte verhindert werden, dass die Nadel des Plattenspielers (bei zu tieffrequenten Signalen) aus der Spur springt. Auch heute gibt es Situationen in denen der Ratschlag Sinn macht – aber jeden Track ungeachtet seiner Charakteristik durch einen Hochpass zu jagen, führt eher dazu, dass mehr Probleme erzeugt als gelöst werden. Die Zeiten haben sich geändert.

In diesem Artikel wollen wir uns den Grund dafür ansehen, warum künstlicher Nachhall tatsächlich eher nichts auf tieffrequenten Signalen verloren hat. Es ist nicht so, dass es verboten wäre Nachhall auf  Bass- oder Sub-Bass-Frequenzen anzuwenden – aber grundsätzlich sollte man hier sehr vorsichtig sein. Lasst uns nun genauer ansehen, warum der Ratschlag trotz moderner Technologien noch immer relevant ist.

Warum verwenden die meisten Produzenten keinen Nachhall für Bass-Signale?

Dieser Ratschlag liegt im Zentrum verschiedenster Probleme in der Audioproduktion – und es gibt einige gute Gründe, warum häufig ein Hochpass auf künstlichen Nachhall angewandt wird.

Phasenauslöschungen

Ungewollte Phasenauslöschungen sind ein typisches Problem, das durch die Anwendung von Nachhall bei basslastigen Signalen auftreten kann. Da durch die frühen Reflexionen eines künstlichen Nachhalls mehrere leicht verzögerte Versionen des Signals wiedergegeben werden, kann es hier sehr leicht zu Phasenproblemen kommen. Tieffrequente Signale sind auf Grund ihrer Energie und Wellenlänge besonders anfällig für Phasenauslöschungen.

Probleme mit dem Stereobild

Ein weiteres Problem bei der Anwendung von Nachhall auf tiefe Frequenzen liegt in der ungewollten Veränderung des Stereobildes. Künstliche Halleffekte sind häufig Stereo-Effekte, während Basssignale typischerweise Monosignale sind. Durch die Anwendung eines Stereo-Nachhalls können Basssignale ungewollt breit werden und so das Stereobild instabil machen. Zwar könnte man auch einfach einen Hall-Effekt in Mono anwenden – das kann jedoch wiederum leichter die bereits erwähnten ungewollten Phasenauslöschungen erzeugen.

Vereinfache dir den Mixing-Prozess

Ein weiterer Grund auf Nachhall im Bassbereich zu verzichten liegt schlicht und einfach darin, dass es den Mixing-Prozess einfacher macht. Ein kräftiger und stabiler Bass ist ein wichtiges Kennzeichen für einen guten Mix und ein aufgeräumter Bassbereich, etwa die Abstimmung von Kick und Bass, zeichnen einen professionellen Mix aus. Künstlicher Nachhall kann dazu führen, dass die Kick verschmiert klingt und tiefe Frequenzen weniger kompakt wirken.

Warum sollte man dennoch (manchmal) Nachhall auf Bass-Signale anwenden?

Nachhall kann Klängen ein Gefühl von Weite geben und damit ein realistisches Gefühl der Einhüllung, Tiefe und “Dramatik” erzeugen.

Orchestraler Klang

Ein Beispiel bei dem Nachhall in tiefen Frequenzen recht gut funktioniert ist orchestrale Musik. Basslastige Instrumente wie Pauke, Kontrabass oder Tuba bekommen dank Nachhall mehr Durchsetzungskraft – ein Effekt, der auch in Konzerthäusern bewusst genutzt wird. Ganz ähnlich würde niemand verlangen den Nachhall von basslastigen Braams oder Sub-Drops von Film Soundtracks zu entfernen, da der Halleffekt die Dramatik der Musik unterstreicht.

sonible - "you can use reverb on bass frequencies of orchestral music"

Kreative Kicks

Kicks sind ein spezieller Fall, wenn es um das Thema Nachhall geht. Der Klang einer Kick zeichnet sich durch einen “Grundton” aus, der recht rasch abklingt, wenn die angeschlagene Membran zur Ruhe kommt. Dieser tonale Klang ist bei künstlich erzeugten Synth-Kicks noch eindeutiger. Durch das Hinzufügen von Nachhall kann der angeregte Ton zeitlich verschmiert werden – was gut (gewollt) und schlecht (ungewollt) sein kann: Man verliert dadurch zwar Klarheit, aber der Nachhall kann den Sound der Kick kräftiger und interessanter machen.

Anders gesagt: Bassfrequenzen können andere Frequenzen recht leicht maskieren – und Nachhall verstärkt diesen Effekt. Wie wir schon in unserem Artikel zum Thema EQing von Nachhall erklärt haben, gibt es gute Gründe, warum Duette von Bass-Instrumenten in der Musikgeschichte eher selten anzutreffen sind.

Wie wendet man Nachhall bei Bass-Signalen richtig an?

Wir haben gesehen, dass es gute Gründe gibt mit der Anwendung von Nachhall im Bassbereich vorsichtig zu sein. Die meisten Nachhall Plug-ins, auch unser Plug-in smart:reverb, erlauben es daher den Halleffekt Hochpass zu filtern. Wenn man am Zweifeln ist, ob ein Halleffekt Probleme machen könnte, sollte man diese Möglichkeit nutzen.

sonible smart:reverb

Anstatt Nachhall ganz zu vermeiden sollte man also versuchen, mögliche negative Effekte zu minimieren und nur die positven Effekte von künstlichem Nachhall nutzen.

Die Nachhallzeit in verschiedenen Frequenzen anpassen

Ältere Halleffekte boten unterschiedliche Möglichkeiten den Hall im Bassbereich zu kontrollieren. Klassische Lexicon Effekte ermöglichten es zum Beispiel mit Hilfe von Grenzfrequenzen und einem Gewichtungsfaktor eigene Nachhallzeiten für den Bassbereich festzulegen. Diese recht einfache aber effektive Möglichkeit hat in einigen Tools bis heute überlebt.

sonible smart:reverb

Warum sollte man das machen? Jeder künstliche Hallraum hat eine eigene Impulsantwort mit unterschiedlichen Überhöhungen im Frequenzspektrum. Diese Überhöhungen werden auch Raummoden genannt. Jedes Instrument hat wiederum seine eigenen Resonanzfrequenzen – und wenn diese Resonanzfrequenzen mit den Überhöhungen von Raummoden zusammenfallen, kommt es zu einer ungewollten Verstärkung dieser Frequenzbereiche. Tatsächlich liegt eine der Schlüsselfunktionen unseres Tools smart:reverb darin, dass das Plug-in einen Nachhall berechnen kann, der genau auf die Eigenschaften (Moden) des Eingangssignals abgestimmt ist.

Noch mehr Überlegungen zum Thema Nachhall auf tiefe Frequenzen

Die häufigsten akutischen Probeme hängen mit Bass-Frequenzen zusammen. Wir haben bereits Raummoden erwähnt, die für Chaos in unterschiedlichen Frequenzbereichen führen können – vor allem bei tiefen Frequenzen. Und hier sind sowohl der Aufnahmenraum als auch der Abhörraum relevant: Der Ort an dem der finale Mix entsteht und für den ein ausgewogenes Monitoring Setup essentiell ist.

Die Hörumgebung, in der die Musik produziert wird, kann einen großen Einfluss auf den Klang des Mixes haben. Wenn es Probleme bei der Abhörsituation gibt, etwa mit dem Abklingverhalten tiefer Frequenzen, klingt der Nachhall im Bassbereich lauter als er tatsächlich ist. Das ist ein weiterer Grund, warum man mit Nachhall im Bassbereich vorsichtig sein sollte – vor allem, wenn man eine suboptimale Abhörsituation (für tiefe Frequenzen) im Studio hat.

Anhören und Anpassen

Du beschäftigst dich auch noch immer mit der Frage wo deine Musik wohl wiedergeben wird (und wie sie klingen wird), nachdem du sie exportiert hast? Kopfhörer sind grundsätzlich recht gut kontrollierbare Abhörsysteme, auch wenn sie im Bassbereich Probleme leider nur eingeschränkt genutzt werden können; auch den Raum in dem die produzierte Musik am Ende wiedergegeben wird kann man nicht kontrollieren; und wenn deine Musik dafür bestimmt ist live wiedergegeben zu werden, vor allem in großen Räumlichkeiten, dann kann das potentielle Probleme mit Nachhall noch einmal deutlich verstärken.

Die Wiedergabe eines Tracks in einem Club oder einer anderen großen Location kann zu einem Nachhall-Albtraum werden. In großen Räumen werden tiefe Frequenzen häufig deutlich verstärkt wiedergegeben und sie resonieren oft gut mit dem Raum. In derartigen Locations würde sich der Nachhall des Tracks mit dem natürlich Nachhall vor Ort Überlagern und zu ungewollten Effekten führen. Aus diesem Grund sollte bei Musik die für Clubs produziert wird ganz besonders darauf geachtet werden, dass die Bässe knackig bleiben und nicht mit einem zusätzlichen Halleffekt verschmiert werden.

Wenn deine Musik eher in üblichen Hörumgebungen, etwa in kleineren Räumen oder über Kopfhörer wiedergegeben wird, ist das Thema des Nachhalls im Mix nicht ganz so kritisch;

Nachhall am Bass – ja oder nein?

Wir haben uns in diesem Artikel mit vielen unterschiedlichen Themen beschäftigt. Es gibt sehr gute Gründe, warum man mit künstlichem Nachhall (im Bassbereich) vorsichtig sein sollte. Gleichzeitig kann Nachhall selbst bei tiefen Frequenzen Sinn machen und die Musik spannender oder einhüllender machen –  sofern ein paar Regeln beachtet werden und die (zu erwartende) Wiedergabesituation das erlaubt.

Einfach gesagt: Wenn es gut klingt, mach es einfach! (Aber überprüfe immer mögliche Phasenprobleme und dein Stereobild.)

sonible true:balance

Einen simplen Hochpass auf einen Halleffekt anzuwenden kann dabei helfen, einem Mix eine gewisse Räumlichkeit zu verpassen, ohne dabei Probleme im Bassbereich zu riskieren. Alternativ dazu ermöglicht es smart:reverb ganz automatisch den gesamten Frequenzbereich eines künstlichen Nachhalls unter Kontrolle zu behalten, indem das Plug-in sich an die speziellen Eigenschaften des Eingangssignals anpasst. Bereits überbetonte Bereiches des Signals werden im berechneten Nachhall eher reduziert, während andere Bereiche betont werden. So lässt sich sehr rasch und ohne allzu große Eingriffe ein Nachhall erzeugen, der die in diesem Artikel erwähnten Fettnäpfchen vermeidet und zu einem stimmigen und harmonischen Endergebnis führt.