Einem Mix mehr Tiefe zu geben, bringt buchstäblich eine neue Dimension in deinen virtuellen Raum. Hier sind neun Dinge die du beachten solltest, wenn du dich in die Tiefen des Mixing begibst.
Beim Abmischen von Musik geht es darum alles an seinen virtuellen Platz zu bringen. Mixing Ratschläge beziehen sich meistens auf Frequenzbereiche und das Stereo Panorama – also wie hoch und breit etwas ist. Diese Eigenschaften kann man recht einfach in der DAW ablesen und steuern. Worüber jedoch nicht so oft gesprochen wird, ist die schwer greifbare dritte Dimension: die Tiefe.
Technisch gesehen ist Nachhall eine sehr schnelle Methode einem Mix das Gefühl von mehr Tiefe zu verleihen. Da ein Hall ganze Räume modelliert und dabei die Ausbreitung und Reflexionen eines Klangs im Raum abbildet, ist eine Tiefenwirkung schnell wahrnehmbar. Wir zeigen dir jedoch einige Dos und Don´ts, um deinen Hall auch wirklich realistisch zu gestalten.
In diesem Artikel werden wir ein paar akustische Prinzipien, psychoakustisches Wissen und praktische Erfahrungen nutzen, um dir die Grundlagen der Tiefenstaffelung für deinen Mix zu geben.
Regel 1: Das Offensichtliche – Pegel
Wenn zwei Klänge genau gleich sind, aber einer weiter entfernt ist, ist dieser leiser als der andere. Wir wissen das intuitiv und können es auch akustisch mit dem Gesetz des umgekehrten Quadrats definieren. Deshalb ist es einfach, die Eigenschaft der Entfernung mit dem Lautstärkeregler zu simulieren.
Während wir also jahrzehntelang die Fader bewegt haben, um den perfekten Mix zu erreichen, haben wir am Ende vielleicht immer nur nach einem Gefühl der perfekten Tiefe für jede Spur gestrebt…
Regel 2: Alles ist relativ
Wenn alle Elemente eines Mix sehr nahe sind fehlt es an Tiefe und wenn aber alle Elemente sehr weit hinten im Raum platziert sind fehlt es ebenfalls keine Tiefe
Ein gutes Gefühl für Tiefe in einem Mix entsteht also durch die Abbildung einer Vielzahl von Positionen. Die Vocals könnten ganz nah sein, ein Klavier etwas weiter entfernt und noch weiter hinten kann man Backing-Elemente platzieren.
Dabei ist eines zu beachten: Technisch gesehen kann man das Hallsignal selbst als ein eigenes Element betrachten. Da ein Hallsignal alle Ecken eines Raumes erreicht, kann es auch die tiefsten Tiefen abbilden. Mit einem geeigneten Hallsignal (als eigenes Element) müssen daher keine Instrumenten-Tracks im hintersten Winkel des Raumes platziert werden.
Regel 3: Die höchsten Frequenzen richtig einstellen
Neben dem Pegel sind hohe Frequenzen ein wichtiger Indikator dafür, wie weit etwas entfernt ist.
Hohe Frequenzen mit der Entfernung abschwächen
Eine einfache Möglichkeit, etwas in einem Mix weiter nach hinten zu stellen ist das Absenken hoher Frequenzen mit einem high-shelf Filter. Um etwas weiter nach vorne zu bringen, kann der Gain des gleichen Filters erhöht werden. Dieser Trick kann zusätzlich zur Änderung der Gesamtlautstärke in Regel 1 angewendet werden. Der Grund dafür ist, dass höhere Frequenzen eher in der Luft abgedämpft werden. Je weiter sich ein Klang entfernt, desto mehr Luft muss er durchqueren und desto mehr werden dabei die hohen Frequenzen abgeschwächt.
Bedämpfung hoher Frequenzen durch ihre Position
Hohe Frequenzen neigen dazu stärker in eine bestimmte Richtung orientiert zu sein. Wenn man in den Lauf einer Posaune blickt, sind die höheren Frequenzen deutlich zu hören; wenn man sich von der Öffnung wegbewegt, werden diese höheren Frequenzen immer stärker abgedämpft. Für einzelne Spuren spielt das vielleicht keine Rolle, aber beim Verwenden eines Halls ist das ein entscheidender Punkt den man beachten sollte. Wenn man ein Element weiter weg platzieren möchte, sollte das Hallsignal weniger Energie in den hohen Frequenzen aufweisen als der direkte Klang. Verwendet man einen Reverb-Bus für mehrere Elemente, dann ist die Reduzierung hoher Frequenzen bestimmter Elemente bevor sie in den Reverb-Bus (oder Send) geschickt werden, eine gute Möglichkeit, Tiefe in einem Mix zu erzeugen.
Rule 4: Dein Mikrofon wird dich verraten
Warum wurde der De-Esser erfunden? Weil das Mikrofon erfunden wurde.
Wie wir gerade gesehen haben, werden hohe Frequenzen in der Regel von der Luft zwischen der Schallquelle und dem Hörer absorbiert. Wenn dieser Hörer ein Mikrofon ist, wird die Quelle (eine Sängerin oder ein Sänger) normalerweise so nah platziert, dass kaum „Luftraum“ bleibt, um hohe Frequenzen zu bedämpfen. Der Klang ist daher übermäßig zischend und entspricht nicht dem Klang einer Stimme, wie wir sie normalerweise hören.
Wenn vom „Nahbesprechungseffekt“ bei Mikrofonen die Rede ist, ist das übrigens nicht der gerade eben besprochene Effekt. Der Nahbesprechungseffekt ist die bei Mikrofonen mit Nierencharakteristik auftretende Verstärkung von tiefen Frequenzen bei einem zu geringen Abstand zur Schallquelle.
Bei der Wiedergabe wird ein mit einem Mikrofon aufgenommenes Signal so wiedergegeben, als wäre es unmittelbar neben unserem Ohr – und zwar die ganze Zeit über. Das Gleiche gilt für jedes Instrument, welches mit einem Mikrofon aus sehr geringer Entfernung aufgenommen wurde (Stütz-Mikrofonierung). Wenn man einen abwechslungsreichen und nuancenreichen Eindruck von Tiefen in einem Mix haben will, ist diese Art der Mikrofonierung (zumindest ganz ohne Raummikrofon) nicht geeignet.
Regel 5: Early und Late Reverb
Hall ist also der Schlüssel, um ein Gefühl von Tiefe zu erzeugen. Aber neben der Verwendung von Hall auf gut Glück gibt es einige Faustregeln, um einen realistischen Klang zu bekommen.
Viele Hall-Prozessoren behandeln frühe und späte Reflexionen unterschiedlich, weshalb es wichtig ist deren Unterschiede zu kennen. Weitere Informationen zu frühen und späten Reflexionen findest du in unserem Artikel zum Thema Nachhall (Bestandteile und Überlegungen).
Frühe Reflexionen werden von unserem Gehirn genutzt, um Positionsinformationen zu sammeln. Das kann ein Gefühl von Entfernung beinhalten, je nachdem wie lange es dauert bis diese ankommen. Späte Reflexionen werden als Informationen über den Raum im Allgemeinen verwendet, um Größe, Beschaffenheit und Form abzubilden.
Wenn verschiedene Elemente in einem virtuellen Raum platziert werden sollen, ist es kein Problem, wenn die späten Reflexionen für alle Elemente ein ähnliches Verhalten haben. Man sollte jedoch auf die unterschiedlichen Eigenschaften der frühen Reflexionen achten, um eine gute Tiefenstaffelung zu erhalten.
Regel 6: Das Pre-Delay Dilemma
Mit dem Pre-Delay kann man eine Lücke zwischen dem Direktschall und dem Beginn des Nachhalls erzeugen, also den Hall verzögern. Das Problem ist nur, das sich die Leute oft nicht ganz einig sind wozu ein Pre-Delay eigentlich gut ist.
Wenn du einen Musikproduzenten fragst, der mit Studioaufnahmen, und DI-Takes von Gitarren aus dem Vocal Booth arbeitet, wird er dir sagen, dass das Pre-Delay dafür sorgt, dass das Signal etwas näher am Hörer sitzt. Wenn du allerdings einen Mixing Engineer für Orchester fragst, wird er dir antworten, dass man durch Pre-Delay Klänge etwas weiter entfernt klingen lässt. Wie kann das sein?
Beide Sichtweisen können richtig sein. Durch das Einsetzen eines Pre-Delay scheinen die Dinge in einem kleinen Raum näher zu rücken, während sie in einem großen Raum weiter weg wandern.
Ein Pre-Delay in einem kleinen Raum schafft eine zeitlich Lücke zwischen Direktschall und erster Reflexion. Dadurch kann man den Klang hören, bevor man den Raum hört. Es entsteht ein Gefühl von Intimität, da der Klang nicht überladen wirkt.
Ein größerer Raum erzeugt hingegen spätere Reflexionen, die eine Weile brauchen, um beim Hörer anzukommen – die Nachhallzeit ist entsprechend länger. Der Schall von einer Quelle im hinteren Teil des Raums braucht ebenfalls länger, um den Hörer zu erreichen. Das gilt auch für die frühe und späte Reflexionen. In dieser Umgebung verstärkt der Pre-Delay den Effekt also das Raumgefühl, indem die Schallquelle weiter nach hinten geschoben wird.
Regel 7: Breite und Tiefe richtig kombinieren
Neben der Tiefe ist die Breite ein Schlüsselelement, um die “virtuelle Klangbühne“ zu vervollständigen. Wir wollen hier zwar nicht allzu genau auf die Breite eingehen – dennoch ist es interessant, wie die Breite mit der Tiefe zusammenspielt.
Die Breite ist bei einer Monoquelle die in eine bestimmte Richtung gepannend ist sehr schmal. Diese Schmalheit ist in der Regel nicht von Vorteil, wenn ein Signal so klingen soll als wäre es nah beim Hörer. Jede nahe Klangquelle hat eine recht große Ausdehnung im Vergleich zum Abstand unserer Ohren. Ein schmaler Klang kann hingegen Tiefe vermitteln, wodurch wir in einem Orchester jeden einzelnen Instrumentalisten zuordnen können.
Nachhall ist in der realen Welt fast immer breit, weshalb diese Überlegung zur Breite zumeist nur für direkte Klangquellen gilt.
Regel 8: Wissen, wie sich tiefe Frequenzen in der Entfernung verhalten
Hohe Frequenzen ändern sich bekanntermaßen je nach Entfernung. Tiefe Frequenzen können sich hingegen etwas merkwürdig verhalten.
Tiefe Frequenzen gehen eher nicht in der Luft verloren und können durch die Abmessungen eines Raumes verstärkt oder gedämpft werden. Darüber hinaus pflanzen sie sich auch leichter durch Festkörper fort (also zum Beispiel einer Wand), weshalb sie auch noch hörbar sind, wenn sie weiter weg sind. Wenn man vor einer Disco steht, hört man deshalb nur die tiefen Frequenzen.
Wie sollte man also tiefe Frequenzen im Zusammenhand mit räumlicher Tiefe behandeln? Dafür gibt es keine allgemein gültige Regel. Eins steht aber fest: die Anhebung tiefer Frequenzen für weiter entfernte Quellen funktioniert. Wenn man sie hingegen abschwächt, kann das zwar für den Mix gut sein, aber die Tiefenstaffelung wirkt dadurch möglicherweise nicht mehr ganz so realistisch.
Regel 9: Auch Kompression spielt eine Rolle
Aus der Psychoakustik weiß man, dass man mehr kleine Details einer Klangquelle wahrnehmen kann, wenn sie nahe am Hörer ist. Mit der Kompression können wir diese Eigenschaft nachahmen.
Stell dir vor ein Auto fährt an dir vorbei. Wenn es sich nähert, kannst du den Motor hören. Je näher es kommt, desto lauter wird auch das Abrollgeräusch der Reifen, das feine Gurgeln des Motors und sogar das Radio im Auto.
Ein musikalisches Beispiel für dieses Phänomen ist das Zupfen einer Akustikgitarre: Wenn man sich in der Nähe befindet, hört man das Plektrum stärker, als in größerer Entfernung zur Gitarre. Wenn die Gitarre mit einem nahen platzierten Mikrofon aufgenommen wurde, sind diese Details deutlich hörbar, auch wenn man versucht sie im virtuellen Raum etwas weiter hinten zu platzieren.
Andererseits kann die Kompression dazu dienen, die weniger gut hörbaren Elemente eines Klangs hervorzuheben. Wir verwenden deshalb Kompression häufig um diese Details hervorzuheben, denken aber dabei nicht unbedingt immer an einen Prozess, der den Klang dadurch näher an den Hörer bringt.