Mid Side Processing – Das Wichtigste zusammengefasst

November 15, 2018 | Know-how

Ursprünglich handelte es sich bei der Mid Side Technik um eine bestimmte Art der Mikrofonierung. Die Tontechnik Community hat M/S in den letzten Jahren wiederentdeckt. Mittlerweile gehört es auch in der digitalen Domäne zum Mixing und Mastering Standardrepertoire. Und das zurecht. Es bringt frischen kreativen Wind und ganz neue Möglichkeiten für die Kontrolle des Stereopanoramas.

Mid/Side kurz erklärt

Die Behandlung des Stereobilds gehört zu den wichtigsten Aspekten in jeder Audioproduktion. Dabei gibt man einzelnen Instrumenten konkrete Richtung und schafft letztendlich einen vollen und breit klingenden Mix. Neben Stereo ist Mid/Side oder M/S Processing eine wirkungsvolle Methode, das Stereobild bis ins Detail zu gestalten. Ein Mid/Side Signal erhält man entweder durch entsprechende Aufnahme oder durch eine M/S Matrix in einem Plug-in, einem Mischpult oder einer DAW.

This infographic shows the difference between the stereo and the mid side concepts

Mehr zur Definition weiter unten, hier nur kurz, was Mid/Side bedeutet: Im Mid Signal befindet sich die Summe von links und rechts, im Side Signal die Differenz. Daher ergeben die beiden Signalanteile gemeinsam ein vollständiges Stereosignal.

Inhalt

Die Geschichte des M/S Processings

Bevor wir uns ins Technische und Praktische stürzen, hier eine kurze Geschichte von M/S. Was heute in den Studios wieder als innovativ gefeiert wird, hat immerhin bald neunzig Jahre auf dem Buckel.

Um ursprünglich ein Mid und ein Side Signal zu erhalten, benötigte man entsprechende Aufnahmen. Mid Side Recording kam auf, weil es garantierte, dass Stereoaufnahmen auch auf Mono-Abspielgeräten funktionierten. Die theoretische Grundlage kam vom „Vater der Stereophonie“, EMI Ingenieur Alan Dower Blumlein bereits in den 1930ern Jahren.

In den 1950ern erfand der dänische Toningenieur Holger Lauridsen die – auch noch heute gängige – Mid Side Mikrofontechnik, um monokompatible Stereoaufnahmen für die Radioübertragung zu erzeugen. Auch für Schallplatten Produktion spielte die Monokompatibilität eine wichtige Rolle. In den 1950ern und 60ern hatte sich Stereo gegenüber dem Mono Vinyl nämlich noch nicht ganz durchgesetzt.

Auch heute sind alle professionellen Audioproduktionen – wieder – monokompatibel. Laptops, Tablets, Smartphones, Anlagen in Kaufhäusern und sogar in Clubs geben oft nur Mono wieder. M/S bietet aber mehr als bloß technischen Nutzen. Auch kreative und künstlerische Vorteile bringt die Technik: Man kann etwa die Stereobreite und den Raum der Aufnahme besser kontrollieren. Ein willkommener „Nebeneffekt“, der heute Mid Side Bearbeitung so beliebt macht.

Technische Grundlagen Mid/Side

Mid Side wird auch gerne als „Summe“ und „Differenz“ („sum“ and „difference“) bezeichnet. Darin steckt auch schon der größte Teil der technischen Erklärung. Die Summe, also alles was auf beiden Seiten gleich ist, findet sich im Mid Signal (= Mono). Die Differenz, also alles, das sich links und rechts voneinander unterscheidet, gibt die beiden seitlichen Anteile (Side) wieder. So einfach die Rechenoperation, so weitreichend die Folgen. Hier eine schematische und tatsächliche Darstellung des Verhältnisses.

Der linke Kanal setzt sich aus dem Mid-Signal plus der Seite und der rechte Kanal aus dem Mid Signal minus der Seite zusammen. 

Im Umkehrschluss:

Die Quadratwurzel ist deswegen da, weil sie bei dieser Operation den Summenpegel gleich bleiben lässt. Sie entspricht einer Absenkung von 3dB. (Wikipedia)

Wer es mit Formeln nicht so hat, kann sich diese Beispiele auch anhören. Es wird schnell klar, worum es geht:

Mit Mid/Side aufnehmen

Für eine M/S Aufnahme benötigt man zwei Mikrofone. Eines für die Mitte, das direkt auf die Schallquelle gerichtet ist. Dieses nimmt das Mono Signal auf. Dabei handelt es sich in der Regel um ein Mikro mit Kugel- oder Nierencharakteristik. Das Side Mikrofon hat eine Achtercharakteristik. Es wird direkt über dem Mid Mikro positioniert, ohne das andere zu berühren und um 90° gedreht – das Mid nimmt daher mehr direkte Schallanteile auf als das Side Mikro. Diese Anordnung nennt man „koinzident“ so wie auch die XY Anordnung. Durch die räumliche Nähe entsteht kein relevanter Laufzeitunterschied zwischen den beiden Mikrofonen.

M/S Recording in der Praxis

Entgegen gängiger Meinung ergibt M/S Mikrofonierung keine größere Stereobreite als andere Techniken. Im Gegenteil, bei M/S Aufnahmen liegt der Fokus auf den direkten Schallanteilen (= Mono). Das Side Mikro ermöglicht zusätzliche Kontrolle über Räumlichkeit und Stereobreite, da es eher die indirekten Schallanteile aufnimmt.

To record Mid Side two microphones, a figure eight and an omnidirectional are used

Generell eignet sich Mid/Side vor allem für Aufnahmen aus geringer Distanz. Verwendet wird sie gerne bei Drum Overheads, Klavieren, akustische Gitarren oder auch bei kleinen Vokal- und Streicher-Ensembles. Die Verwendung von M/S ist schlussendlich eine ästhetische Entscheidung des Tontechnikers bzw. des Produzenten. Grundsätzlich gilt: Will man einen fokussierten Klang, der trotzdem Breite und Raum mit sich bringt, könnte sich M/S gut eignen. Die Richtung der Quelle kann der Hörer hier klar wahrnehmen, dafür ist die Stereobreite beschränkt.

M/S Mikrofonierung bei akustischer Gitarren

Mid/Side Recording kommt oft bei akustischen Solo-Gitarren zum Einsatz. Diese steht dabei klar im Mittelpunkt und gemeinsam mit dem Side Signal erhält man ein realistisches, facettenreiches und gleichzeitig breites, offenes Klangbild. Dasselbe gilt auch für Klavieraufnahmen.

With two mics positioned in a 90 degree angle you can make a mid side recording of an acoustic guitar

M/S Mikrofonierung bei Drums Overhead

Neben der AB Anordnung findet bei Drum Overheads auch gerne M/S Anwendung. Bei M/S Aufnahmen von Drum Overheads können Snare und Kick Drum in der Mitte bei der Verwendung von zusätzlichen Stützmikrofonen (Close-Miking) abgesenkt werden. Sie kommen auf ihren eigenen Spuren deutlicher zur Geltung. Das Set gewinnt an Klarheit und gleichzeitig an Räumlichkeit.

PRO-TIPP: Eine ästhetische Entscheidung: Verwende M/S Mikrofonierung, wenn das direkte Signal in der Mitte im Vordergrund stehen soll. Mehr Breite erzeugen Stereo A/B oder ORTF Anordnungen.

Mixing mit Mid Side

M/S Aufnahmen ermöglichen einen einzigartigen Zugang im Mixing. Man kann mithilfe einer M/S Matrix im Mischpult, in der DAW oder im Plug-in, aus den zwei Signalen der beiden Mikrofone drei Signale machen. Eines für die Mitte, eines für die linke und eines für die rechte Seite. Das Side Signal kommt zweimal ins Mischpult (oder in die DAW), mit hartem Links und Rechts Panning. Die Phase ist auf einer Seite um 180° gedreht, damit die Seiten nicht einander auslöschen.

The mid side signal can be split into three channels. One side channel needs to be phase inverted in order to avoid cancellation.

Mithilfe des Mid Side Processing in der digitalen Domäne kann jedes Stereosignal in ein M/S Signal umgewandelt werden. Die Aufteilung von Links und Rechts auf Mid und Side passiert dabei innerhalb eines Plug-ins. Mit smart:EQ 3 integriert M/S nahtlos in jeden EQing Workflow. So ist es auch ohne M/S Recording möglich, alle Vorteile des M/S Processing zu nutzen.

Die unterschiedliche Bearbeitung der Mid und Side Signale eröffnet großartige Möglichkeiten. Mit Mid Side schafft man Platz im Mix, ohne zu sehr in die spektrale Balance einzugreifen. Bei zwei Sounds, die einander in die Quere kommen, kann einer mit Mid/Side EQing stärker in der Mitte und der zweite eher auf den Seiten platziert werden. So bleiben beide sehr klar wahrnehmbar und der Charakter der Instrumente erhalten.

Mixing und Stereobreite

Auch kann die wahrgenommene Breite durch gezieltes M/S EQing beeinflusst werden. Nachhall und Raumklang treffen größtenteils ungleich („dekorreliert“) auf das Mikrofon und alles was nicht gleich ist (also „nicht korreliert“), befindet sich in den Side Signalen. Daher lässt sich auf M/S Aufnahmen der Raumklang und Stereobreite durch M/S EQing beeinflussen.

Vergrößert man die Differenz zwischen Mid und Side Anteilen durch EQing, wächst die Differenz und das Stereobild wird breiter. Aber Vorsicht, die Methode hat ihre Grenzen: Zuviel Differenz führt zu einem „phasigen“ Klang, Präsenz in der Mitte fehlt und die Monokompatibilität ist nicht mehr gegeben.

Dämpft man die Side Anteile (oder erhöht die Mid Anteile) wird der Klang direkter und verändert sich im Charakter minimal. Mit dieser Wechselwirkung zwischen Mid Side kann in gewissen Situationen auch die Tiefenwahrnehmung eines Mix raffiniert beeinflusst werden.

Mid Side im Mastering Prozess

Auch neue Wege zeigt Mid Side im Mastering auf. Vor allem im Low End verkleinert man die Differenz von Links und Rechts auf ein Minimum. Low Cuts der Side Signale halten den Bass schön fokussiert in der Mitte. Die auditive Wahrnehmung der Richtung und Ortung im Raum nimmt mit tieferer Frequenz ab. Zuviel Side Signal lässt den Bass verschwimmen. Für das Vinyl Mastering ist das sogar eine notwendige Operation. Zuviel tiefe Side Signalanteile können die Nadel aus der Rille werfen.

Auf der anderen Seite des Spektrums gibt gezieltes Anheben der Side Anteile dem gesamten Mix noch etwas Luft und Breite, ohne ihn zu scharf werden zu lassen. Das gezielte Herausnehmen von Resonanzen im Mid und Side Signal ermöglicht weitere chirurgische Eingriffsmöglichkeiten auf den letzten Metern der Produktion. In manchen Fällen können sogar zu laute Vocals oder Drums (Mid) besser eingepasst werden, ohne den Charakter des gesamten Tracks zu zerstören.

PRO TIPP Mid Side zählt zu den fortgeschrittene Techniken. Zuerst sollte der Monomix sitzen, dann mit „klassischem“ Panning die Instrumente platzieren und dann sich um Tiefe und Breite kümmern. Schlussendlich dem Ganzen Sahnehäubchen mit Mid Side aufsetzen.

Happy Mixing & Music Making!