Wie haben sich die tonalen Profile von Musik seit 1960 verändert? Mit true:balance geben wir dir einen eindrucksvollen Einblick in die Geschichte von spektraler Balance.
Man braucht nicht zwangsweise außergewöhnlich gute Ohren, um zu hören, dass sich die Qualität und der Charakter von Musik über die Jahre hinweg verändert hat. Seit Künstler wie Frank Sinatra, Ella Fitzgerald, Elvis und die Beatles ihre Musik zum ersten Mal auf Band aufgezeichnet haben, haben sich die Tools und das Wissen um Audioverarbeitung entscheidend verbessert.
Mit neuen digitalen Tools, können wir diesen Charakter in auf komplett neue Art analysieren und sehen. Für diesen Artikel haben wir mit unserem Plug-in ein paar Klassiker der Musikgeschichte untersucht – von den 1960ern bis heute – um aufzuzeigen wie sich die spektrale Balance mit der Zeit verändert hat.
Was ist spektrale Balance?
Spektrale Balance, auch manchmal als tonale Balance bezeichnet, beschreibt wie gleichmäßig Signale über das Frequenzspektrum hinweg verteilt sind. Klänge, die eine gleiche Menge an Energie pro Oktave besitzen, werden generell als angenehmer von unserem Gehör empfunden.
Im Allgemeinen sind solche Frequenzprofile in einem Musikstück ausschlaggebend dafür, dass wir es als Song mit „guter spektraler Balance“ bezeichnen. Wir haben true:balance dafür entwickelt, damit du einen klaren Einblick bekommst, inwieweit dein Signal einer „idealen“ Referenz entspricht.
Ed Sheeran – Celestial (2021). Dieser Track sieht über das gesamte Spektrum hinweg sehr gut aus.
Der Mangel an High-End der 60er und die Überkompensation in den 70ern
Während der 1960er Jahre war ein Mangel an High-End-Anteilen in Bandaufnahmen üblich. Dank technischen Fortschritten bei Mikrofonen, Aufnahmegeräten und anderen Audiotechnologien, konnte mit der Zeit mehr High-End erhalten werden.
Mit Woodstock und den letzten Atemzügen der 60er, begann ein neues Jahrzehnt – auch für die Musik. Mit true:balance ist es möglich, ein paar der Trends bezüglich spektraler Balance in den Songs der 1970er Jahre zu analysieren, die eine direkte Folge der Produktionen der vorherigen Ära sind. Besonders auffallend ist eine verstärkte Präsenz des High-Ends als Kompensation der bereits erwähnten Einschränkungen.
Toningenieure versuchten mit der Verwendung von umschaltbare EQs Songs offener und knackiger klingen zu lassen. Dafür holten sie die Bereiche um 7kHz und darüber hervor, wie in Stevie Wonder’s Superstition zu sehen ist.
Stevie Wonder – Superstition (1972). Der Grammy-ausgezeichnete Track zeigt klar Modifikationen im Bereich von 7kHz und darüber.
Der Verlust von Subbass in den 60ern wurde mit Tiefen im höheren Bereich kompensiert
In den 1960ern tendierten Toningenieure dazu, die tieffrequenten Anteile in einem Track zu reduzieren, da sie damalige Audiosysteme potenziell überforderten und zum Beispiel die Nadel eines Plattenspielers zum Springen brachten. Im Vergleich zur elektronischen Musik von heute – die Woofer an ihre Grenzen bringt – waren die Arrangements der 60er nicht einmal ansatzweise so Bass-getrieben. Trotzdem waren tiefe Bässe auch damals ein wichtiger Teil eines Songs.
Es ist bei Songs aus den 60ern, die wir analysiert haben, offensichtlich, dass es einen Peak bei 200Hz im Frequenzspektrum gibt. Du kannst das klar in der spektralen Verteilung von Marvin Gaye’s I Heard it Through the Grapevine im Bild unten sehen.
Marvin Gaye – I Heard it through the Grapevine (1968). Obwohl der Track über wenig Energie im Bereich unter 150Hz verfügt, besteht ein klarer Anstieg bei 200Hz als Kompensation.
In zeitgenössischer Musik und heutigem Mixing gibt es die Debatte ob der Bereich um 200Hz für einen „muddy“ oder „boxy“ Klang verantwortlich ist. Deswegen werden hier oft Kicks und Bässe reduziert. Jedoch waren die Ingenieure der 60er Jahren mit Einschränkungen konfrontiert, wenn sie mit sehr tiefen Frequenzen arbeiteten. Es kann also gut sein, dass dieser Bereich gezielt angehoben wurde, damit ein reichhaltigeres Low-End geschaffen werden konnte.
Es wird Bass-lastiger
Heutige Hits sind entweder durch Sub-Genres, wie Hip Hop oder Trap, beeinflusst, deren entscheidende Elemente Lautsprecher-erschütternde 808s und Tiefenbässen sind oder es ist der Bass das Leitmotiv, so wie es aus der elektronischen Musik bekannt ist.
Behält man bei der Analyse diese stilistischen Einflüsse im Hinterkopf, überrascht es nicht, dass es einen klaren Trend hin zu starken Low-Ends in der spektralen Verteilung von moderner Musik gibt. Es ist sogar so, dass der Balance Check in true:balance bei der Analyse von mehreren Tracks aus den 2020s darauf hinweist: too much low end!
Phony People – Fkn Around (2020). true:balance identifiziert eine hohe Bass-lastigkeit im Track und gibt Hinweise.
Die Qualität und die Formatoptionen für die Hörerlebnisse von Konsumenten hat sich über die letzten 60 Jahre immens verändert. Es ist auch zu erwähnen, dass kleine Lautsprechersysteme weitaus mehr leisten können, wenn es um die Wiedergabe von Bass geht – selbst wenn man sie mit den Systemen von vor 5 oder 10 Jahren vergleicht. Musik wird heute überwiegend über Kopfhörer konsumiert und die Verbesserungen der Frequenzantwort im Bassbereich bei den meisten kommerziellen Modellen hat es möglich gemacht, dass man heutzutage selbst mit Kopfhörern ein wummerndes Low-End genießen kann.
Bass wird auch schmaler
Neben den grundlegenden Einblicken in die Frequenzverteilung, zeigt uns true:balance im Kanaldatenbereich alles, was man über die Stereobreite sowie -korrelation und damit die Mono-Kompatibilität eines Mix wissen muss.
Als Tonaufnahmen gerade erst möglich waren, mussten Künstler oder Bands live aufgenommen werden. Phasen-Probleme standen daher auf der Tagesordnung. Multi-Tracking wurde 1955 entwickelt und durch die Pioniere Les Paul und Mary Ford erstmals angewendet. Als kreatives Tool wurde Multi-Tracking jedoch erst eingesetzt als The Beatles und The Beach Boys mit der Technologie Mitte der 60s experimentierten. Selbst dann waren sie jedoch auf die Verwendung von Vierspur-Recorder beschränkt, was eine Limitierung der möglichen Mikrofonpositionen mit sich brachte. Das Ergebnis war, dass Phasenauslöschungen in den 60ern und 70ern weiterhin ihr Unwesen trieben, besonders in Tiefen Frequenzbereichen.
Das ist besonders bemerkbar in Marvin Gaye’s Heard it Through the Grapevine. true:balance’s anpassbare Low, Mid und High Bänder in Kombination mit der Korrelationsmessung zeigen klar, wo es Probleme mit Phasenauslöschungen im Frequenzspektrum kommen könnte. In diesem Fall, zeigen sich ein extrem breites Low-End und Probleme mit der Korrelation, die mit einem so weiten Bass Hand in Hand gehen.
Marvin Gaye – I Heard It Through The Grapevine (1968). Breite ist nicht grundsätzlich schlecht, Phasenauslöschung sehr wohl.
Heute halten sich viele Produzenten und Toningenieure an die goldene Regel, alles im Low-End in der Mitte des Stereobildes zu halten, damit Phasenauslöschungen vermieden werden. Das ist auch viel einfacher als es einmal war, dank besserem Aufnahmeequipment, leistungsstarker Software und ausgeklügelten Aufnahme- und Mixtechniken.
In beinahe allen Beispielen von Musik aus dem aktuellen Jahrzehnt, ist es so, dass die Information unter 150Hz fast komplett mono ist – und über eine großartige positive Stereokorrelation verfügt. Sieh dir Eliza Rose’s Nummer-Eins-Hit aus 2022 „B.O.T.A.“ als lehrbuchhaftes Beispiel eines Basses in mono an.
Eliza Rose – B.O.T.A (2022). Der schmalste Bass.
Frühe Stereo-Produktionen sind zu weit gegangen
Mit der kompletten Kontrolle darüber, wo jedes Element eines Tracks in einem Mix sitzt, können heutige Produzenten und Toningenieure Klänge über das gesamte Stereobild verteilen, damit jedes seinen eigenen Platz bekommt. Bekanntlich sitzen Elemente, wie Gesang oder Bass am besten im Zentrum, während sich alles andere links oder rechts – in unterschiedlichen Ausmaßen – befindet.
In den 60ern mussten sich Tontechniker auf LCR-Panning während des Mixens verlassen, das ihnen die Platzierung von Klängen an drei Positionen erlaubte – Links, Mitte oder Rechts. Jedes hatte eine „harte“ Position, was bedeutete, dass beispielsweise ein Gitarrenklang nicht 20% links platziert werden konnte – es war entweder vollkommen links platziert oder gar nicht.
Das Ergebnis war, dass manche Klänge entweder ausschließlich zum linken oder rechten Kanal gehörten, damit man sie von anderen Sounds, die denselben Frequenzbereich belegten, separieren konnte. Beispielsweise kannst du in Aretha Franklin’s Respect hören, dass sich die Kick links und der Bass rechts befindet – etwas das in heutigen Mixes extrem selten vorkommt.
Aretha Franklin – Respect (1967). Ein schönes Beispiel dafür, dass Stereo-Audio seit den 1960ern große Fortschritte gemacht hat.
Die Einführung von hoch-präzisen Analysetechnologien und die Notwendigkeit den Standards von Streamingdiensten zu entsprechen haben viel zur Verbesserung der tonalen Balance in Musik beigetragen. Die Spektren von Musik aus den 60ern gleichen manchmal den goldenen Bögen von McDonalds: überbetonte Höhen und Bässe mit einer recht starken Absenkungen in den Mitten ergeben insgesamt ein sehr ungleichmäßiges Frequenzprofil. Diese Verteilung wurde mit der Zeit immer mehr geglättet um sie ausgeglichener zu machen. Ein Beispiel ist Ed Sheeran’s Celestial zu Beginn dieses Artikels.
Obwohl wir allgemein wesentlich mehr Kontrolle und Konsistenz beobachten können, gibt es Ausnahmen, die eigentlich nicht funktionieren sollten, aber es trotzdem tun. Fred Again’s Berwyn, zum Beispiel, zeigt offensichtlich zu viel Energie im Low-End-Bereich, jedoch klingt der Song bei der Wiedergabe gut.
Fred Again – Berwyn (2022). true:balance schlägt eine Reduktion des Low-Ends um 16.8dB of reduction in the low end vor, aber der elektronische Track ist absichtlich sehr Bass-lastig.
Obwohl wir gezeigt haben, dass es klare Trends und Muster in der spektralen Balance über die Jahrzehnte hinweg gibt, ist immer Platz dafür, spezielle Charakteristika oder Aufnahmegegebenheiten miteinzubeziehen. Trotz so mancher Abweichung, geben uns Analysetools wie true:balance immer einen hilfreichen Orientierungspunkt für unsere Mixes, der uns dabei unterstützt, die spektrale Balance und die Monokompatibilität im Auge zu behalten und zu verbessern.