Normalisierung und Streaming-Plattformen

Dezember 11, 2021 | Know-how

Als der sogenannte Lautheitskrieg zwischen 1990 und 2010 wütete, waren Limiter und Audiokompressoren beliebter denn je unter Produzenten und Audioingenieuren. Es wurde immer üblicher den Dynamikumfang von Tracks zu reduzieren – jedoch nicht aus kreativen Gründen, sondern um die Lautstärke bis an die Grenzen hochzudrehen zu können. Lautheitsstandards und Streaming-Plattformen haben der ganzen Sache schließlich ein Ende bereitet.

Der Lautheitskrieg führte dazu, dass sich immer mehr Künstler, Produzenten und auch Zuhörer über diesen sinnlosen Wettbewerb beschwerten und die Dinge bekamen eine neue Richtung. Während des Lautheitskrieges war das Wichtigste, lauter als der Wettbewerb zu sein, doch heute ist der richtige Dynamikumfang das neue Ziel. Obwohl die Relevanz des Dynamikumfangs in der Musik ein Revival nach dem Höhepunkt der Lautheit im Jahr 2005 erfuhr, waren es schlussendlich Streaming-Plattformen, wie Spotify, Tidal, Youtube sowie Apple Music und ihre Nutzung von Lautheitsnormalisierung, die den Lautheitskrieg beendeten

 

Was ist Lautheitsnormalisierung?

Streaming-Plattformen wollen, dass ihre Zuhörer eine angenehme und gleichmäßige Hörerfahrung machen – auch wenn die Zuhörer ständig zwischen Künstlern, Alben und Genres wechseln. Ein essentieller Faktor, der eine angenehme Hörerfahrung sicherstellt, ist eine ähnliche Lautheit von aufeinanderfolgenden Tracks. So müssen Zuhörer nicht ständig mit der Lautstärke spielen und können die Musik einfach genießen.

 

Um eine gleichmäßige Streaming-Lautheit zu erreichen, wenden Plattformen sogenannte Lautheitsnormalisierung bei allen Tracks an, die hochgeladen werden: Sie drehen die Lautheit von Tracks runter, die lauter als der vorgegebene Bezugswert sind (manche Plattformen drehen zu leise Tracks auch hoch). Dieser Wert ist typischerweise in LUFS (Loudness Unit Full Scale) angegeben. Dabei handelt es sich um eine Skala, die die wahrgenommene Lautheit eines Tracks repräsentiert. Haben Tracks also den gleichen integrierten LUFS Wert (= Lautheit gemessen über die gesamte Länge des Tracks) werden sie von Zuhörern als gleich laut wahrgenommen.

 

Was bedeutet das für Musikproduzenten?

Viele Produzenten nehmen an, dass sie ihren Track genauso bearbeiten müssen, dass er den Lautheitswerten der Streaming-Plattformen entspricht (z.B.: -14 LUFS für Spotify, Youtube, Tidal und Amazon Music).  Wenn der Track nicht den Vorgaben entspricht, wird die Lautstärke hochgedreht (oder runtergedreht) und das ist schließlich was schlechtes, richtig?

Falsch! (in den meisten Fällen)

Denke daran: Jeder Track wird normalisiert um die gleiche wahrgenommene Lautheit zu erreichen, heißt also, dass kein Track lauter als ein anderer nach der Lautheitsnormalisierung ist. Ja, die erwähnten Streaming-Services drehen einen Track mit -11 LUFS leiser. Dabei handelt es sich jedoch nur um eine Gain-Reduktion, die sicherstellt, dass jeder Track gleich laut ist. Dieser Vorgang hat keinen Einfluss auf einen mühevoll kreierten Dynamikumfang oder die Charakteristiken des Tracks. Es ist als würde man ein Wiedergabegerät leiser drehen – es gibt also nichts zu befürchten.

 

 

Aber warum steht oben „in den meisten Fällen“? Weil Lautheitsnormalisierung einen ungewollten Einfluss auf einen Track haben kann, wenn die integrierte Lautheit unter dem vorgegebenen Wert liegt.  Nehmen wir an, dass ein Track mit einer Lautheit von -18 LUFS wird auf Spotify hochgeladen wird. In diesem Fall würde der Track um 4 dB hochgedreht werden, damit er gleich laut wie die anderen Tracks ist. Das könnte aber ein Problem darstellen: mit der Erhöhung von 4 dB ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Signal dann 0 dbFS überschreitet und ein automatischer Limiter zum Einsatz kommt. Manche  Plattformen drehen Tracks nicht hoch, wenn sie zu leise sind. Aber das führt wiederum dazu, dass der Track dann leiser als die meisten anderen ist und damit ein nachteiliger Effekt auf die wahrgenommene Qualität des Tracks entsteht.

Wenn der Dynamikumfang so wichtig ist, warum dann überhaupt Dynamik-Werkzeuge einsetzen?

Der Dynamikumfang sorgt für Transparenz und lässt deinen Track atmen. Deswegen klingen Tracks mit einem sorgfältig gestalteten Dynamikumfang lebhafter und haben mehr Punch als überkomprimierte Songs. Andererseits fallen Tracks ohne dynamische Verarbeitung auf Grund der großen Lautheitsunterschiede an unterschiedlichen Stellen schnell auseinander. Abgesehen davon klingen diese Tracks nicht gut auf Geräten, die Dynamikumfang nur eingeschränkt wiedergeben können, wie beispielsweise Handys, Laptops oder kleine Bluetooth-Lautsprecher. Es geht also darum die richtige Balance aus der Zähmung von Peaks sowie lauten Teilen und dem Erhalt eines Dynamikumfangs, der den Track atmen lässt.

Limiting ist typischerweise der finale Schritt in der Audioproduktion und jener, bei dem du dieser Balance den letzten Schliff geben kannst. Je mehr du den Pegel des Eingangssignals also anhebst, desto mehr Peaks werden limitiert und desto kleiner wird der Dynamikumfang.

 

Manche Genres wie EDM, HipHop oder Pop vertragen den härteren Einsatz eines Limiters besser als Genres wie Klassik, Jazz oder Sprachaufnahmen. Du musst also all das im Hinterkopf behalten, wenn du einen Limiter für den letzten Schliff anwendest: Der Dynamikumfang, das Genre und die Lautheitsvorgaben von Streaming-Services. (Achtung: wir sprechen hier vom Einsatz eines Limiters für den Zweck der Veröffentlichung deiner Kreation und nicht für kreative Effekte).

Gib mir konkrete Werte!

Wenn ein Track für die Veröffentlichung vorbereitet wird, geben konkrete Werte vielen Leuten Sicherheit – sie wissen dadurch genau wohin die Reise gehen soll, damit ein Streaming-Service, eine Plattform oder ein Veröffentlichungsmedium keine destruktiven Dinge mit ihren Kreationen anstellen. Es gibt viele Zahlen und Tipps im Internet, aber sich darauf zu konzentrieren tut oft dem eigenen Track nichts Gutes. Also gilt wie immer in der wunderbaren Welt der Musikproduktion, dass nur wenig in Stein gemeißelt ist. Deswegen empfehlen wir folgendes:

  • Mische deinen Track so, wie du ihn haben willst, kreiere den Dynamikumfang der deiner Idee entspricht und der gut für dich in deinem Studio klingt.
  • Wenn du an jenem Schritt angelangt bist, an dem du mit einem Limiter deinen Track für die Veröffentlichung bearbeitest und die Lautheit (LUFS) über dem vorgegebenen Wert liegt, ist alles okay.
  • Wenn die Lautheit darunter liegt, dreh den Pegel im Limiter vorsichtig rauf um die Lautheit zu erhöhen.
  • Stelle sicher, dass der maximale True Peak Pegel dabei nicht -1 dB überschreitet (für leise Songs) oder -2 dB für laute Songs, um Probleme mit Clipping zu vermeiden, wenn er in ein verlustbehaftetes Audioformat kodiert wird.

Pro Tipps:

  • Versuche nicht einfach die Lautheit deines Tracks zu maximieren, sondern finde den richtigen Dynamikumfang und stelle nur sicher, dass der Track „laut genug“ ist. Das heißt, dass die Lautheit zumindest den vorgegebenen Wert der jeweiligen Streaming-Plattform erreicht.
  • Wenn dein Track lauter als der Bezugswert für die Lautheit einer Streaming-Plattform ist und du dafür den Dynamikumfang nicht opfern musstest um dahin zu gelangen, dann ist alles in Ordnung. Sicher, wird er runtergedreht – aber so wird das mit jedem Track gemacht.
  • Insgesamt ist Lautheitsnormalisierung eine gute Sache, da es Produzenten und Künstler dazu bringt, ihre Musik dynamischer zu gestalten und weniger zu komprimieren.